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Eine Hochzeit bei Heimito von Doderer

Der Weg ist das Ziel. Sagt man. Aufs Radfahren trifft der sinnige Kalenderspruch in den meisten Fällen zu. Auf Ehen wahrscheinlich auch. Und um beides wird es diesmal gehen, irgendwie. Deshalb habe ich ausnahmsweise kein schlechtes Gewissen, eine Geschichte mit einer so abgedroschenen Phrase zu beginnen.


Es ist eine Hochzeit, zu der ich mich an diesem glühend heißen Tag Ende Juli aufmache. Von Baden soll es heute nach Prein an der Rax gehen. Eine petite boucle durch das Epizentrum feudaler Sommerfrische, gewissermaßen. Auch wenn es vom Start weg erstmal wenig erfrischend zugeht. Das Industrieviertel trägt seinen Namen schließlich nicht umsonst. Spätestens aber, als ich bei Lindabrunn die steilen Rampen des maria-theresianischen Föhrenwaldes erklimme, kommt langsam das Flair einer verblassten Zeit auf – und davon wird es noch viel geben auf dieser Reise.

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Die hohe Wand entlang

Es geht also zu einer Hochzeit. Nicht meiner eigenen. Meine Schwester heiratet. Und als literarisch versierte Liebhaberin der Wiener Alpen hat sie ihren – zu diesem Zeitpunkt noch zukünftigen – Gemahl zu einer Feier im früheren Sommersitz des Dichters Heimito von Doderer überredet. Im Schatten der Rax. In Rufweite des Semmering. Es wurden schon Hochzeiten in weniger hübschen Gegenden gefeiert, so viel kann man sagen.

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Verlassen und verblasst

Auf dem Weg dorthin soll es aber erst mal die Hohe Wand sein, an der ich mich entlang arbeite. Was auf dem Höhenprofil wie ein recht langweiliges Piano ausgesehen hatte entpuppt sich schnell als zackiges Stakkato mit allerlei Hügeln und Kuppen. Der Komponist Johannes Brahms jedenfalls hatte seine Freude an der musikalischen Landschaft. Immerhin hat er sich für seine Sommerfrischen oft das Piestingtal ausgesucht. Das Schild "Brahms war gern zu Gast in Oed" zeugt noch heute davon. Hier war ich schon unterwegs, heute kreuze ich das Tal aber nur einmal kurz, um weiter nach Süden vorzudringen.

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In Willendorf muss ich enttäuscht feststellen, dass es sich hierbei nicht um den Fundort der berühmten Venus aus dem Naturhistorischen Museum handelt. Die kommt nämlich aus der Wachau. Wo es auch schön ist, wo aber heute deutlich mehr los wäre als hier im tiefen Süden Niederösterreichs (auch Oed trägt seinen Namen nicht umsonst). Ein zarter Schleier der Zivilisation begegnet erst wieder in Ternitz. Hier erinnern die Schlöte der ehemaligen Stahlwerke an die andere Seite des Reichtums, der sich im 19. Jahrhundert in der Nähe der Berge anzusiedeln begann.

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Ein Wachtturm für das Wiener Wasser

Von Ternitz an führt mich der Weg nun immer öfter an den kleinen, burgartigen Türmchen der Wiener Hochquellwasserleitung vorbei. Im Austausch gegen all die Adeligen und Großbürgerlichen, die Wien einst in den Sommermonaten hierher verfrachtete, gönnte sich die Reichshaupt- und Residenzstadt ab 1873 den Luxus des Gebirgswassers. Die Ströme fließen noch heute. Für bald wieder zwei Millionen Wienerinnen und Wiener. So viele, wie es zum Höhepunkt der Industrialisierung schon einmal waren.

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Die Rax in Sicht

Auffällig wenig Sommerfrischler tummeln sich wenig später in Reichenau, eigentlich eine Hochburg der Reichen und Schönen. Das Festspielhaus ist verwaist. Corona ist ein Feind der Bühnen. Auch als ich langsam wieder – das vorletzte Mal für heute – den Berg hinauf fahre, zeigt sich ein überraschendes Bild. Verlassene Villen. In bester Lage. Von Unkraut überwuchert. Die Zeit geht ihren Weg.

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Doderers Riegelhof

Und der Weg ist schließlich das Ziel, wie es am Anfang dieses kurzen Textchens hieß. Aber die meisten Wege kommen dennoch einmal zu einem Ende. Dieses finde ich heute, nachdem mich die letzten, schottrigen Serpentinen noch einmal steil nach oben getragen haben. Es ist die Villa Doderer. 1903 hatte Heimito von Doderers Vater den Riegelhof erbaut. Dessen Vater wiederum war 1877 als hochdekorierter Architekt zum Ritter geschlagen worden – daher das "von" im Namen. Der berühmte Enkel zog sich im Sommer hierher zurück, wenn ihm das geschätzte und literarisch verewigte Wien dann doch zu heiß wurde. In den Regalen stehen noch immer die Bücher mit den Geburtstagswidmungen der Familienmitglieder. Die Betten knarren in Erinnerung an die Nächte eines ganzen Jahrhunderts. Die Schachfiguren dämmern in einem friedlichen Dornröschenschlaf. Das Ja-Wort – denn deswegen bin ich ja eigentlich hergekommen – fällt schließlich im Garten, vielleicht auf dem Tisch, auf dem Doderer den letzten Satz seiner "Strudlhofstiege" schrieb: Es ist ein Ort mit Geschichte. Der beste Ort für Geschichte

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