top of page

Ein amerikanischer Traum

Der Wilde Westen auf zwei Rädern


Rennrad USA New Mexico Santa Fe
Hinauf zum Santa Fe Ski Ressort

Der amerikanische Westen ist ein hartes Pflaster für Rennradfahrer. Die Hitze und die Vorliebe der Amerikaner für motorisierte Gefährte machen das Radfahren zum Sport für Exoten. Dennoch hat sich in Santa Fe ein regelrechtes El Dorado für sie entwickelt. Wir waren auf den Straßen in der Wüste New Mexicos unterwegs und haben Kilometer und Eindrücke von einer Rennradbegeisterung gesammelt, die buchstäblich keine Grenzen kennt.


Rennrad USA New Mexico Santa Fe
Der alte Bahnhof von Santa Fe


Der amerikanische Traum rollt auf zwei Rädern. Spätestens seit dem Erfolg des Biker-Epos „Easy Rider“ vor einem halben Jahrhundert hat sich das Motorrad auf den schier endlosen Straßen der Wüsten und Prärien ins ikonographische Gedächtnis der Vereinigten Staaten eingebrannt. Für unmotorisierte Zweiradfreunde ist der Wilde Westen hingegen oft ein Alptraum: Dreispurige Straßen, dröhnende Pick-Up-Trucks, sengende Sonne und zermürbender Wind machen einem hier das Leben schwer.


Ein anderes Amerika


Und doch gibt es die Orte, an denen der amerikanische Traum auch für Rennradfahrer wahr wird. Wo Frontier Spirit – die permanente Suche nach neuen Wegen – auf Rennradkultur trifft, wie sie diesbezüglich verwöhnte Europäer kennen. Santa Fe in New Mexico ist so ein Ort. Und vielleicht ist er es deshalb, weil er in so vielem so unamerikanisch ist. Oder ein anderes Amerika zeigt als das, welches der Tourist erwartet.


„Ach wie schön, wie geht‘s?“ fragt David, als ich mich im Mellow Velo, einem alteingesessenen Fahrradladen am Rande der Altstadt Santa Fes als Österreicher zu erkennen gebe. Die Überraschung dabei: David fragt es auf Deutsch. Eine gute Freundin von ihm wohnt in Salzburg, erklärt er lachend, während er noch einmal das Rad checkt, das ich mir für meinen Aufenthalt in der Wüste New Mexicos geliehen habe. Auf einem Trip durch den amerikanischen Südwesten wollte ich es mir nicht entgehen lassen, die Straßen des Landes auch im Sattel zu erkunden. Immerhin nennt sich der 47. Staat der USA offiziell "Land der Verzauberung". Der Slogan findet sich seit 1941 sogar auf den Autoplaketten.


Camelback statt Windjacke


Die Entscheidung, mich am Rad verzaubern zu lassen, erweist sich schon bald als richtig. Aber auch als Herausforderung. Santa Fe liegt auf knapp 2200 Metern Seehöhe – am Rande einer Hochebene mitten in der Wüste, wo die Luft dünn und die Sonne ungewohnt heiß ist. Während auf europäischen Passstraßen noch im Hochsommer die Windjacke zur Pflichtausstattung der Rennradfahrer gehört ist es hier der Camelback, wie mir David erklärt.



Rennrad USA New Mexico Santa Fe
Wüstenhitze 2000 Meter über dem Meer


Als ich die knapp 25 Kilometer lange Straße zur Seilbahnstation auf weit über 3000 Metern ansteuere verstehe ich, warum. Die breit ausgebaute Straße ist zwar an beiden Rändern von Nadelbäumen gesäumt, die spenden aber nur an den wenigsten Stellen Schatten. Dennoch stellt sich die Fahrt im Sangre-de-Cristo-Gebirge – dem südlichsten Teil der Rocky Mountains – als Vergnügen heraus. Viel Verkehr hatte mir David für diesen Tag vorhergesagt. Die Seilbahnstation – im Winter ein beliebtes Skigebiet – dient im Sommer als Ausgangspunkt für viele Ausflügler. Tatsächlich überholen mich aber nur wenige Autos, viele davon mit Mountainbikes am Heckträger. Die Trails der Gegend haben einen ausgezeichneten Ruf. Die Autofahrer sind geduldig, die strengen Tempolimits von rund 35 Stundenkilometern sorgen zusätzlich für Entschleunigung. Wirklich unangenehm steil wird es hier kaum – die Straße ist schließlich für den Wochenendverkehr gemacht. Hin und wieder begegnen mir Rennradfahrer, mal allein, mal in Gruppen von sechs, sieben Leuten. Viele tragen die Finishertrikots des Santa Fe Century, einer beliebten Touristikveranstaltung über 100 Meilen, die durch das hügelige Land im Süden der Stadt führt.


Auf der Route 66


Am Rückweg rolle ich durch die Altstadt mit ihren markanten, braunroten Bauten im Adobe-Stil. In der Hauptstadt von New Mexico erinnert nicht nur der Name an die lange und wechselvolle, multikulturelle Geschichte. Spanisch hört man hier an jeder Ecke, fast jeder zweite im Bundesstaat ist Hispanic, auch viele Indigene leben heute noch in und um die 80.000-Einwohner-Stadt. Erst im 19. Jahrhundert entdeckten die US-Amerikaner den Ort, der damals noch zu Mexiko gehörte, als Handelsposten. Der daraufhin etablierte Santa-Fe-Trail führte von Missouri durch die Prärie bis hierher ins Gebirge. Auf der gleichen Route marschierten die Amerikaner 1846 im amerikanisch-mexikanischen Krieg nach New Mexiko, danach fiel das Territorium an die USA. Mit dem Ausbau der Eisenbahn versank der Santa-Fe-Trail in Vergessenheit. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts führte eine Schleife der legendären Route 66, die Chicago mit Kalifornien verband, durch die höchstgelegene Hauptstadt der Vereinigten Staaten. Und 1969 wurden ganz in der Nähe Teile von Easy Rider mit Dennis Hopper und Peter Fonda gedreht. Die Stadt war schon immer ein Kreuzungspunkt, der die Reisenden in alle Himmelsrichtungen zusammenbrachte.



Rennrad USA New Mexico Santa Fe
Alles in Adobe

Von der Sonne geküsst


Heute führen viele ausgedehnte Radtouren entlang dieser prägenden Routen zwischen Fels, Sand und Sträuchern, die beispielhaft sind für den amerikanischen Expansionsgeist. In den Norden nach Taos, dem vermeintlich ältesten Dorf der USA mit seinen indigenen Wurzeln. Oder in den Südosten nach Las Vegas – dem „anderen“ Las Vegas, einer kleinen Wüstenstadt, die den Eindruck erweckt, von Aufnahmen für einen John-Wayne-Streifen übrig geblieben zu sein. Überall begegnet die Weite des Horizonts, der den Indigenen, die in den Pueblos in der Wüste leben, als eine spirituelle Vaterfigur gilt. Und so ist auch in der Hymne des Bundesstaates von einem Land die Rede, das unter dem Azur des Himmels vom goldenen Sonnenschein geküsst worden ist.


Der amerikanische Weg – auf Schotter


Als die Sonne tief steht rolle ich auf meinem Rad wieder bei Mellow Velo ein. John, ein junger Kollege von David, zeigt mir Fotos von seiner Radtour am Vorabend. Mit dem Gravelbike ist er über eine stillgelegte Bahntrasse gefahren, die sich heute im Nirgendwo verläuft: Wo die Geschichte eines Weges aufhört, könnte man meinen, fängt eine neue an. Da kommt ein wenig Wehmut bei mir auf, dass mein Kurzaufenthalt hier schon wieder vorbei ist und so viele Touren ungefahren bleiben müssen. Denn auch der Hang zum Schotter, den John wie so viele hier auslebt, passt ganz zum „american way of life“, der immer dort verläuft, wo andere schon längst umgedreht hätten. Aber umdrehen gilt hier nicht. Dort, wo die Straße aufhört, geht der Weg weiter.



Rennrad USA New Mexico Santa Fe
Noch besser: Graveln


bottom of page